18.08.2005
Charlemagne: Aktuelle Marktsituation in der Türkei
Köln, den 18.08.2005 (Investmentfonds.de) - Nach dem robustem Anstieg seit April
dieses Jahres und dem Erreichen der historischen Marke von 30.000 Punkten, sah
sich der türkische Leitindex, ISE-100, in der vergangenen Woche verstärkt unter
Druck gesetzt und verlor 8% an Wert. Ausgelöst wurde der Verlust durch Aussagen
der französichen Regierung, dass der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen, der für
den 3.Oktober festgesetzt ist, eventuell verschoben werden könnte, sollte die
Türkei nicht im Vorfeld die griechisch-zyprische Regierung anerkennen. Die Türkei
antwortete zurückhaltend auf diese Aussagen, indem sie darauf verwies, dass alle
Kriterien und Bedingungen zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen am 3.Oktober
erfüllt seien.
Trotz aller Widrigkeiten und widersprüchlichen Aussagen sind wir weiterhin der
Meinung, dass die EUBeitrittsverhandlungen am 3.Oktober planmäßig beginnen werden.
Die EU hat auf ihrem Gipfel vom 17.Dezember 2004 der Türkei diesen Termin
juristisch zugesichert, sofern die Türkei ihrerseits 2 weitere Bedingungen
erfüllt, die Neufassung des Strafgesetzbuches sowie die Unterzeichnung des
Zusatzprotokolls zur Zollunion. Beide Bedingungen sind von der Türkei mittler-
weile erfüllt worden. De jure gibt es daher keine Möglichkeiten seitens der EU,
den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit neune Bedingungen zu verhindern.
Dennoch ist davon auszugehen, dass die "Zypern-Frage" eine zentrale Frage
bleiben wird, die sich wesentlich auf einen möglichen Beitritt der Türkei
in die EU auswirkt.
Seit den negativ beschiedenen Referenden zur EU-Verfassung in Frankreich und
Holland kommt für die Türkei erschwerend hinzu, dass der Erweiterungsprozess
eine wesentliche Frage der Innenpolitik in den einzelnen Mitgliedsländern geworden
ist. Hier sind im wesentlichen Frankreich und Deutschland zu nennen, wo sich
zentrale Oppositionspolitiker mit einer "Anti-Türkei"-Politik Stimmenzuwächse
für kommende Wahlen versprechen.
Wie wir immer wieder argumentiert haben, ist es von Bedeutung zwischen einem
wie auch immer gearteten Ergebnis von Beitrittsverhandlungen sowie dem Einfluss
derselben auf die weitere Entwicklung der türkischen Volkswirtschaft zu
differenzieren. Da sich beide Seiten, weder die EU noch die Türkei, ein Zurück
von dem eingeschlagenen Weg, weder politisch noch ökonomisch, erlauben können,
wird der Verhandlungsprozess zwangsläufig in eine Lösung münden, sei es in einem
Beitritt in die EU oder in eine wie auch immer definierte privilegierte Partner-
schaft. Für die weitere ökonomische Entwicklung der Türkei ist das Ergebnis
letzten Endes von wenig Belang.
Wenn wir die politische Szenerie verlassen und das Augenmerk auf die fundamentale
Entwicklung werfen, so ist eindeutig festzustellen, dass der ökonomische Reform-
prozess völlig intakt ist. Die türkische Wirtschaft wird auch in diesem Jahr mit
ca. 5% wachsen, nach 9% im vergangenen Jahr. Die Inflation ist auf einem historisch
niedrigem Wert und die Türkei erfreut sich eines immer stärker werdenden Interesses
ausländischer Investoren. Jüngst wurde mit der Turkish Telekom die größte Privati-
sierung in der Geschichte der Türkei vollzogen. Diese Transaktion wird weitere
Privatisierungen wie zum Beispiel der Telsim, Tupras, Erdemir oder im Finanzsektor
beflügeln. Privatisierungen haben in 2005 bereits einen Wert von USD 9.7 Mrd
erreicht plus USD 3 Mrd. für die Übertragung der Nutzungsrechte des Istanbuler
Flughafens. Die Privatisierungen werden aus unserer Sicht erheblich dazu beitragen,
dass die Türkei ihre Haushaltsdefizite reduzieren kann.
Über alle Sektoren hinweg gibt es am türkischen Aktienmarkt attraktive Anlage-
möglichkeiten. Die Aktienbewertungen sind immer noch relativ günstig, zumal die
Unternehmen sehr gute Gewinne aufweisen. Dennoch ist davon auszugehen, dass
zumindest bis zum nächsten, entscheidenden EUGipfel am 1. und 2. September die
Politik für einige Volatilität sorgen wird. Dies sollte aber nicht über das lang-
fristige Anlagepotenzial der Türkei hinwegtäuschen. Sollte dann auf dem nächsten
Gipfel der 3.Oktober als Beginn der Beitrittsverhandlungen bestätigt werden,
wird es den weiteren Konvergenzprozess um so mehr beflügeln.
Quelle: Investmentfonds.de