Assenagon: Contrarian Views zur Konjunktur
Fangen wir mit den Konjunkturindikatoren an. Was beunruhigt, ist dass der bekannte Baltic Dry-Index seit Mai letzten Jahres beinahe ununterbrochen nach unten geht. Der Index war in der Vergangenheit immer ein recht zuverlässiger Indikator für die künftige Entwicklung des Welthandels. Wenn er sich so nachhaltig abschwächt, bedeutet das nichts Gutes. Andererseits gibt es einige Sondereffekte, die hier eine Rolle spielen. Der Index misst die Frachtraten im internationalen Schiffsverkehr. Sie sind zum Teil dadurch verzerrt, dass in den letzten Jahren neue Frachter in Betrieb genommen worden sind, die die Frachtraten sinken lassen. Hinzu kommt, dass Missernten in vielen Teilen der Welt, auch die Überschwemmungen in Australien, das Volumen der zu transpor- tierenden Güter verringern. Aber reicht das zur Erklärung für einen so starken Rückgang des Indexes aus? Einige Zweifel bleiben. Ein anderes Indiz für eine eventuelle konjunkturelle Schwäche: Auf den Aktienmärkten verkaufen im Augenblick institutionelle Anleger Papiere in größerem Stil. Privatanleger sind dagegen nach wie vor auf der Käuferseite. Eine so große Divergenz zwischen dem Handeln der Institutionellen und dem der Privaten hat es nach Aussagen der ameri- kanischen Investmentbank Morgan Stanley, die das seit Jahren beobachtet, schon lange nicht mehr gegeben. Wissen die Institutionellen mehr, beziehungsweise haben sie ein besseres Gefühl? Oder ist es vielleicht einfach nur eine technische Reaktion, also Vorsicht nach dem starken Anstieg der letzten Monate? Was könnte hinter der Skepsis stehen? Einmal belastet die Erhöhung der Ölpreise natürlich die Konjunktur. In den letzten sechs Monaten haben sie noch einmal um 20 Prozent angezogen. Das verringert nach den üblichen Daumenregeln der Ökonomie das Wachstum der Weltwirtschaft um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte. Das ist für sich genommen noch nicht schrecklich viel. Andererseits könnte der Ölpreisanstieg noch weitergehen. In den Schwellenländern wird zur Bekämpfung der Inflation eine restriktive Geldpolitik betrieben. Gerade in dieser Woche haben die Chinesen den Zinssatz noch einmal um einen Viertel Prozentpunkt angehoben. Bisher hielt sich die Restriktion noch in vernünftigen Grenzen. So etwas kann sich aber schnell ändern. Probleme kann es insbesondere dann geben, wenn die kurzfristigen Gelder, die in letzter Zeit massiv in die Schwellen- und Entwicklungsländer geflossen sind, zurückgeholt würden. Das passiert, wenn das hohe Vertrauen, das die Finanzmärkte in die Schwellenländer setzen, schwindet. Bemerkenswert ist, dass die Aktienmärkte der Schwellenländer zuletzt schlechter laufen. Es ist das Szenario der Asienkrise von vor etwas mehr als zehn Jahren. Ergebnis war damals eine schwere Rezession in der Region.
Weitere Wachstumsbremse wäre ein Ende des China-Booms, weil die Ungleichgewichte in dem Land eskalieren. In den Industrieländern könnte die Staatsverschuldung zu Problemen führen. Ich denke hier weniger an Europa (da liegt schon vieles hinter uns) als vielmehr an die USA. Wenn das Vertrauen in die AAA-Qualität der Amerikaner wackeln würde, wäre es auch mit dem amerikanischen Wachstum nicht mehr so weit her. Die Vereinigten Staaten müssten dann schneller als gewünscht ihre öffentlichen Defizite zurückführen mit entsprechenden negativen Wirkungen auch auf die Beschäftigung. Eine ganz andere Wachstumsbremse: Die konjunkturelle Erholung führt zu Friktionen, weil es an entsprechenden Kapazitäten fehlt. In der Automobilindustrie müssen Hersteller bereits jetzt zum Teil die Produktion unterbrechen, weil Zulieferer nicht rechtzeitig die benötigten Teile liefern können. Möglichkeiten für ein Ende des Aufschwungs gibt es also eine Reihe. Sind sie aber auch wahrscheinlich? Jeder einzelne Fall kann natürlich eintreten. Es reicht – vielleicht abgesehen von dem Fall der Schwellen- und Entwicklungsländer – für sich genommen aber nicht aus, dass die Weltkonjunktur insgesamt kippt. Dafür müsste schon mehreres zusammenkommen. Aus heutiger Sicht sehe ich für 2011 noch keine unmittelbaren Gefahren. Was ich mir aber vorstellen kann, ist dass sich die Stimmung als Folge des einen oder anderen Faktors verschlechtert. Das würde die Konjunktur von der psychologischen Seite beeinträchtigen. In den realen Zahlen wäre es vermutlich erst 2012 spürbar. Für den Anleger Ich möchte mit diesen Bemerkungen den Konjunkturoptimismus nicht kaputt machen. Ich möchte jedoch etwas Wasser in den Wein gießen. Es ist immer gut, sich seiner Sache nicht so sicher zu sein und die Risiken im Kopf zu behalten. Im Augenblick setzen meines Erachtens zu viele, vor allem Private, unkritisch auf Aktien.
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