J.P. Morgan AM: Rohstoffboom als Treiber für Substanz- und Dividendenaktien?
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management
Rohstoffboom als Treiber für Substanz- und Dividendenaktien?
- Zahlreichen Rohstoffmärkten droht Defizit in den nächsten Jahren
- Nachfrage nach Industriemetallen wird sich signifikant erhöhen
- Hoher Anteil an Rohstoff- und Energieunternehmen bei Substanz- und Dividendenaktien
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Frankfurt, 18. März 2022 - Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Versorgungssicherheit mit Energieträgern und Rohstoffen überlagert aktuell den Umstand, dass schon vor der Krise zahlreiche Rohstoffmärkte sehr eng waren. Die Rohstoffmärkte haben im vergangenen Kalenderjahr mit einem Plus von knapp 40 Prozent den stärksten Anstieg seit 2009 verzeichnet und damit nicht unerheblich zum weltweiten Inflationsgeschehen beigetragen. Nach Einschätzung von Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, scheint neben der expansiven Fiskalpolitik paradoxerweise ausgerechnet die Energiewende zum Treiber von Rohstoffpreisen zu werden. Zwei grundlegende Veränderungen in der Weichenstellung der Wirtschaftspolitik hätten die Wahrscheinlichkeit eines neuen Superzyklus bei den Rohstoffen erhöht. Aus Anlegersicht könnte der Rohstoffboom ein Treiber für Substanz- und Dividendenaktien werden - weil dort der Anteil an Rohstoff- und Energieunternehmen hoch ist.
Zahlreichen Rohstoffmärkten droht ein Defizit in den nächsten Jahren
Die Erwartung der Zentralbanken und zahlreicher Marktteilnehmer war bisher, dass der Anstieg der Rohstoffpreise aufgrund der schnellen wirtschaftlichen Erholung nur temporär ist. "Doch es spricht nicht nur wegen der aktuellen Ereignisse einiges dafür, dass die Welt gerade den Beginn eines neuen Superzyklus bei den Rohstoffen erlebt. Denn die Balance zwischen Rohstoffangebot und Nachfrage beginnt sich zu verändern. Zahlreichen Rohstoffmärkten droht in den kommenden Jahren ein Defizit", stellt Tilmann Galler fest. Doch wie konnte es so weit kommen?
Der letzte Rohstoffsuperzyklus von 2002 bis 2011 hat nach Analyse von Ökonom Tilmann Galler zu einer enormen Investitionswelle in neue Minen- und Förderprojekte geführt. Die Folgen waren ein überschießendes Angebot und fallende Rohstoffpreise. Im Verhältnis zur globalen Wirtschaftsleistung haben sich in diesem Zeitraum die Rohstoffpreise um 60 Prozent schlechter entwickelt. "Für rohstoffverarbeitende und energieintensive Industrien bedeutete das erhebliche Effizienzgewinne und für Konsumenten eine relative Preisstabilität beim Endprodukt. Doch die aktuellen Entwicklungen deuten in eine andere Richtung", erklärt Galler.
Grafik: Rohstoffpreise im Vergleich zum globalen BIP Rohstoffpreisindex und nominales globales BIP rebasiert auf 100% im Dezember 1992
Quelle: Bloomberg, IWF, J.P. Morgan Asset Management. Die in der Vergangenheit erzielte Performance ist kein zuverlässiger Indikator für aktuelle und künftige Ergebnisse. Stand der Daten: 31. Dezember 2021
Zwei wesentliche Gründe für bevorstehenden Rohstoffsuperzyklus
Tilmann Galler sieht zwei grundlegende Veränderungen in der Weichenstellung der Wirtschaftspolitik, die die Wahrscheinlichkeit eines neuen Superzyklus bei den Rohstoffen erhöht haben. "Die Pandemie hat zu einer strukturellen Veränderung in der Fiskalpolitik in den Industrieländern geführt. Immer mehr Regierungen sind inzwischen bereit, die niedrigen Finanzierungkosten für eine expansivere Fiskalpolitik zu nutzen. Die zusätzlich induzierte staatliche Nachfrage bedeutet am Ende des Tages eine höhere Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern und damit auch nach Rohstoffen", sagt Galler.
Die zweite entscheidende Weichenstellung finde auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit statt. "Die Verpflichtung der großen Industrienationen, langfristig die Netto-Neuemissionen der Treibhausgase auf null zurückzuführen, verlangt gewaltige Investitionen in die Energieinfrastruktur und das Verkehrswesen sowie schärfere Regulierung, um das Verbrennen fossiler Brennstoffe unattraktiver zu machen. Das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 macht es erforderlich, den Anteil von Öl und Kohle am Gesamtenergieverbrauch bis 2030 um mindestens 15 Prozent zu senken", analysiert Marktexperte Galler. Der Ukrainekrieg hat nochmals die Dringlichkeit aufgezeigt, sich zügig unabhängiger von fossilen Energieträgern zu machen.
Man würde eigentlich erwarten, dass die Aussicht auf zukünftig niedrigere Nachfrage eher zu fallenden Preisen führen sollte - doch der Effekt scheint sich ins Gegenteil zu verkehren. Denn Energie- und Minenunternehmen haben sich mit ihren Investitionsentscheidungen bereits auf die veränderte politische und regulatorische Lage eingestellt. "Seit 2016 reinvestieren die Unternehmen einen immer geringeren Anteil ihrer Erlöse in neue Exploration und schütten das Kapital lieber an die Aktionäre aus. Der aktuelle Mangel an Investitionen kann in einigen Jahren zu einer strukturellen Unterversorgung in zahlreichen Schlüsselrohstoffen führen", sagt Galler.
Nachfrage nach Industriemetallen wird sich deutlich erhöhen
Bei fossilen Energieträgern möge eine strukturelle Unterversorgung politisch sogar als notwendiges Übel erwünscht sein, da steigende Preise für Kohle und Öl ein noch größerer Anreiz für treibhausgasarme Produktionsverfahren und den Umstieg in erneuerbare Energieproduktion seien.
Doch bei Industriemetallen sei die Lage eine andere, denn sie seien essenziell für den Erfolg der Energiewende. "Der steigende Bedarf an Batterien aufgrund der Elektrifizierung der Mobilität und der Ausbau des Stromnetzes verschlingen zusätzliche Mengen an Kupfer, Nickel, Aluminium und Kobalt. Die Nachfrage nach diesen Rohstoffen und das Preispotential werden sich in den nächsten Jahren signifikant erhöhen", ist Galler überzeugt.
Für die zukünftige Ertragskraft der Rohstoff- und Energieunternehmen seien das gute Nachrichten - für Konsumenten und Effizienzgewinner der letzten 10 Jahre jedoch eher beunruhigende Aussichten. "Aus Investorensicht kann ein neuer Rohstoffsuperzyklus zu einer tektonischen Verschiebung an den Börsen führen. Substanzwerte und Dividendenaktien, die großen Verlierer des vergangenen Jahrzehnts, haben aufgrund des relativ hohen Anteils an Rohstoff- und Energie- unternehmen zukünftig kräftigen Rückenwind", sagt Tilmann Galler.
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